(dieser Artikel erscheint in der neuen Ausgabe von Eurotopia)
In dem Buch „Gemeinschaftsbildung - Der Weg zu authentischer Gemeinschaft“ von M. Scott Peck steht als erster Satz: Die Rettung der Welt liegt in Gemeinschaft und um sie herum. Ich mag diese Formulierung nicht so gerne, viele Richtungen beanspruchen für sich, dass sie die Welt retten können. Ich stelle mir eher die Frage, in welche Richtung der Zeitgeist, die menschliche bzw soziale Evolution gehen wird. Es ist unwahrscheinlich dass sich der jetzige Trend von Beziehungstrennungen und Singlehaushalten weiter fortsetzen wird. Parallel zu dieser Entwicklung entstehen soziale Netzwerke, seit den 68´gern besuchen immer mehr Menschen Seminare, entwickelt sich ein Knowhow für den spirituellen Weg und für intensive Gruppenprozesse. Der Wunsch nach erfüllender Gemeinschaft ist sehr präsent in unserer heutigen Gesellschaft. Nur leider scheint das nicht so einfach zu verwirklichen zu sein, sonst würde es diese bereits an vielen Stellen geben. Offensichtlich gibt es schwierige Probleme auf diesem Weg zu lösen. Scott Peck beschreibt in seinem Buch die verschiedenen Phasen einer Gruppe auf dem Weg zu authentischer Gemeinschaft (Pseudo/Chaos/Leere/Authentische Gemeinschaft). Er weist auch darauf hin, dass es erfüllende Gemeinschaft nicht umsonst gibt, man dafür einen zeitlichen Preis bezahlen muss.
1978 bin ich in meine erste Gemeinschaft gezogen. Sie war sehr intensiv und hat mein Leben richtig in Schwung gebracht. Vorher hatte ich viel mit depressiven Tendenzen zu tun, wie das wohl oft der Fall ist in der Pubertät und Jugendzeit. Es ist nicht einfach etwas zu finden, wofür man sich motivieren kann. Durch das Leben in der Gemeinschaft habe ich gestaunt wie viel Energie und Initiative in mir schlummerten. Seitdem hat mich das Thema Gemeinschaft nicht mehr losgelassen. Insgesamt habe ich dann 20 Jahre in 3 verschiedenen Gemeinschaften gelebt, die aber alle ihre Intensität und Zusammenhalt auf einen Guru/Lehrer und einer mehr oder weniger starken ideologischen Ausrichtung aufgebaut hatten. Irgendwann war für mich das Thema Guru/Lehrer erledigt, wollte ich herausfinden, wie es geht diese Intensität in Gemeinschaft ohne diese (nachteiligen) Hilfsmittel zu verwirklichen. 2004 stieß ich auf das Buch von Scott Peck über die Gemeinschaftsbildung, dessen Inhalte und dem Prinzip der „group of all leaders“ mich sofort faszinierten. Da es in Deutschland keine Workshops gab, bin ich nach San Francisco geflogen um den Prozess in der Praxis zu erleben. Die Erfahrung war ein bisschen enttäuschend, ich hatte es mir nach dem Lesen des Buches einfacher vorgestellt. Trotzdem hat mich der Prozess ausreichend fasziniert um dran zu bleiben und es begann ein langer Weg die Elemente der Gemeinschaftsbildung zu erlernen, zu verinnerlichen und auch zu verstehen, was da eigentlich in diesem Prozess abläuft, wie er funktioniert und wie man ihn leichter verdaulich und weniger verwirrend für die Teilnehmer eines Workshops vermitteln kann. Außerdem habe ich mit Unterstützung von ein paar Menschen aus Siebenlinden das Buch von Scott Peck „Gemeinschaftsbildung – der Weg zu authentischer Gemeinschaft“ ins Deutsche übersetzen und herausgeben lassen. Seitdem ist viel passiert, haben sich viele fortlaufende gemeinschaftsbildende Gruppen gebildet und auch einige Gemeinschaften nutzen den Prozess, in erster Linie Schloss Tempelhof, Jahnishausen und Schloss Glarisegg.
Durch die Begleitung der gemeinschaftsbildenden Workshops habe ich viele Gemeinschaften kennen lernen dürfen und einen tiefen Einblick bekommen in die verschiedenen Thematiken einer Gruppe. Es ist Offensichtlich wie wichtig es ist, dass eine Gruppe regelmäßig in eine Offenheit und Tiefe füreinander findet. Sonst ist die Gefahr groß, dass das Beziehungsflecht versandet, sich ungelöste Konflikte und Probleme aufstauen. Die gängige Lösung dafür ist, dass Gemeinschaften ein paar Mal im Jahr Intensivzeiten durchführen, wo sich alles wieder reinigt und Gemeinschaftsenergie aufgetankt wird, die gegenseitige Unterstützung in der persönlichen Entwicklung stattfindet. Meine Forschung und persönlichen Bedürfnisse gehen in eine etwas andere Richtung. Für mich braucht es eine größere Kontinuität, das heißt konkret, dass man sich zusätzlich zu den Intensivzeiten möglichst oft zu Abenden in kleinen Gruppen von 4-8 Menschen trifft. Damit habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht, wobei ich noch nicht genau sagen kann, was das richtige Maß für die Anzahl der Treffen ist. Man muss dafür einen gewissen zeitlichen Preis bezahlen, wirklich gute und erfüllende Gemeinschaft gibt es nicht umsonst. Aber nach meinen Erfahrungen lohnt es sich. Man tankt dadurch energetisch regelmäßig auf und bekommt von den anderen kontinuierlich Impulse für die persönliche Entwicklung, ist die gegenseitige Unterstützung optimal. Für eine gute partnerschaftliche Beziehung ist so eine Gruppe außerdem sehr wertvoll, können die verschiedenen Themen konstruktiver ausgetragen werden.
Zuerst habe ich in Urlauben mit diesem Setting experimentiert, was sehr erfüllend war. Es kamen sogar Kommentare wie, so einen schönen Urlaub habe ich noch nie erlebt. Oder sie haben darüber geweint, dass sie so eine Gemeinschaft nicht in ihrem Alltag erleben. Dann habe ich angefangen es umzusetzen in dem Gemeinschaftsprojekt Schloss Oberbrunn/Chiemsee, dass ich vor 2,3 Jahren mit drei anderen initiiert habe. Diese erste Kerngruppe fiel noch vor dem Einzug auseinander, ebenso der 2. Versuch im letzten Jahr. Es braucht Zeit und Geduld bis sich die richtige Gruppe zusammen findet, also wo ähnliche Bedürfnisse nach Gemeinschaft bestehen. Ich habe offensichtlich den Schritt eines Immobilienkaufs zu früh getan, wollte den Prozess darüber beschleunigen, war nicht geduldig genug. Das war frustrierend aber natürlich auch lehrreich. Die Themen, die ich auf diesem Weg lernen muss, bestehen daraus, Konflikte möglichst gewaltfrei austragen zu können und mein Knowhow in Bezug auf sprachliche Gruppenprozesse immer mehr zu verbessern. Eine Gruppe muss auch über Sprache in eine emotionale Tiefe finden können, daran führt kein Weg vorbei. Und es ist für mich ein Weg zu immer mehr Verletzlichkeit, mein Herz zu öffnen für meine Mitmenschen, sie nicht mit harten sondern mit weichen Augen sehen zu können.
Schloss Oberbrunn, August 2013 Götz Brase
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