David Bohm, eine andere Beschreibung des
gemeinschaftsbildenden Prozesses


Dieser Text stammt vom Samuel Widmer, Buchautor, Seminarleiter und spirituellem Lehrer aus der Schweiz. Er lebt in einer Lebensgemeinschaft in der Nähe von Solothurn.

David Bohm: Der Dialog, Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen, Klett-Cotta, 2002 (Originalausgabe: 1969, On Dialogue)

Zusammenfassung eines Buches über Gemeinschaftsbildung

David Bohm gilt auf seinem Gebiet der theoretischen Physik als einer der grossen Denker des 20. Jahrhunderts. Er hat mehrere Bücher, vor allem auch philosophischer Natur, verfasst, unter denen vor allem Die implizierte Ordnung: Grundlagen eines dynamischen Holismus herausragt. Er war einer der wichtigen Schüler Krishnamurtis. Die beiden führten viele interessante Dialoge, die audiovisuell zugänglich sind. Eines seiner Hauptanliegen war der Dialog. Lee Nichol, der einer der Dialoggruppen David Bohms angehörte, gab nach seinem Tode dieses zusammenfassende Büchlein über David Bohms Ansichten zum Dialog heraus.
   Frappierend ist die Ähnlichkeit der Gedanken David Bohms mit denen zur Gemeinschaftsbildung von Scott Peck. David Bohm nähert sich zwar von einer ganz anderen Seite, einer philosophischen und naturwissenschaftlichen, demselben Anliegen und benutzt auch eine viel komplexere Sprache. Er kommt aber zu den gleichen Ergebnissen, und sein anderer Ansatz – vor allem die Erforschung der Hirntätigkeit und des Denkens – dürfte befruchtend sein.
   Den Dialog zu praktizieren ist zwar so alt wie die Zivilisation selbst, David Bohm versuchte ihm aber seine Tiefe zurückzugeben, die ihm im Zeitalter der Kommunikation und Diskussion abhanden gekommen ist. Für Bohm ist der Dialog ein vielschichtiger Prozess, der über die typische Vorstellung von Gespräch und Gedankenaustausch weit hinausgeht. Darin wird eine ungewöhnliche Bandbreite menschlicher Erfahrung erkundet: Unsere tief sitzenden Wertvorstellungen, Wesen und Intensität der Emotionen, die Muster unserer Denkprozesse, die Funktion des Gedächtnisses, die Bedeutung tradierter kultureller Mythen und die Art und Weise, in der unsere Neurophysiologie die Augenblickserfahrung strukturiert. Am Wichtigsten aber ist vielleicht die Auslotung der Art und Weise, in der das Denken – von Bohm als inhärent begrenztes Medium gesehen, nicht als objektives Abbild der Wirklichkeit – auf der kollektiven Ebene hervorgebracht und unterhalten wird. Eine solche Untersuchung rüttelt notwendigerweise an tief sitzenden Annahmen in Bezug auf Kultur, Bedeutung und Identität. In seinem tiefsten Sinn ist der Dialog also eine Einladung, die Lebensfähigkeit traditioneller Definitionen dessen zu überprüfen, was es bedeutet ein Mensch zu sein, und kollektiv das Potential für eine weitere menschliche Entwicklung zu erforschen.
   Bohm liegt das Kommunikationsproblem, von dem unser ganzes heutiges Leben betroffen ist, sehr am Herzen. Immer wieder hat er auf die Tatsache hingewiesen, dass trotz des Anspruchs der „Wahrheitssuche” das Streben auch der Naturwissenschaft oft von persönlichem Ehrgeiz, starrer Verteidigung, von Theorien und dem Gewicht der Tradition ungünstig beeinflusst wird. Auch das generelle Los der Menschheit sah er in einem vergleichbaren Netz einander widersprechender Absichten und Handlungen feststecken. Die allgemeine Vielfalt sozialer und persönlicher Fragmentierung sah er als eine direkte Folge dieser Problematik. Das Grundproblem scheint zu sein, dass verschiedene Gruppen und Menschen nicht mehr in der Lage sind, einander zuzuhören.
   Im Dialog versuchen Gesprächsteilnehmer deshalb nicht, einander Ideen oder Informationen mitzuteilen, die ihnen bereits bekannt sind, vielmehr versuchen sie, gemeinsam etwas Neues zu schaffen, indem sie einander uneingeschränkt und vorurteilsfrei zuhören, ohne zu versuchen sich gegenseitig zu beeinflussen. Das Interesse eines jeden gilt in erster Linie der Wahrheit und Kohärenz, so dass er bereit ist, alte Vorstellungen und Absichten fallen zu lassen und, wenn nötig, zu etwas anderem fortzuschreiten. Wenn wir in Harmonie mit uns selbst und mit der Natur leben wollen, meint Bohm, müssten wir fähig sein, frei in einer kreativen Bewegung zu kommunizieren, in der niemand auf Dauer an seinen eigenen Vorstellungen festhält oder sie sonstwie verteidigt. Natürlich sieht auch er, dass ein solcher Anspruch immer wieder an der fehlenden Bereitschaft scheitert, und dass diese letztlich durch nichts als durch Einsicht zu bewirken ist.
   Oberflächlich betrachtet ist der Dialog eine relativ unkomplizierte Angelegenheit. Eine Gruppe, bestehend aus 15-40 Teilnehmern, versammelt sich auf freiwilliger Basis und setzt sich im Kreis zusammen. Nach anfänglichen Erläuterungen über das Wesen des Dialogprozesses steht die Gruppe vor der Frage, wie sie weiter vorgehen soll. Da sie ohne vorher festgelegte Tagesordnung zusammenkommt, braucht es meist einige Zeit, bis eine Einigung auf ein annehmbares Thema erfolgt ist, was bekanntlich Frustration hervorrufen kann. In diesem frühen Stadium betrachtet Bohm einen Dialogbegleiter als sinnvoll. Aber auch er findet, genauso wie Scott Peck, dass auf diese helfende Rolle sobald wie möglich verzichtet werden sollte, damit die Gruppe ihrem eigenen Kurs folgen kann.
Bohm weist auf die etymologische Ableitung des Wortes Dialog hin. Dialogos, das griechische Wort, setzt sich aus logos, das Wort und dia, durch (nicht zwei!), zusammen. Ein Dialog kann von einer beliebigen Anzahl von Leuten geführt werden, nicht nur von zweien. Sogar ein Einzelner kann einen gewissen inneren Dialog mit sich selbst pflegen. Wesentlich ist, dass der dialogische Geist vorhanden ist. Bohm redet von einem freien Sinnfluss, der unter uns, durch uns hindurch und zwischen uns fliesst. Ein Sinnstrom innerhalb der ganzen Gruppe, aus dem allenfalls ein neues Verständnis entspringen kann. Diese Einsicht ist etwas Neues, was zu Beginn nicht vorhanden war. Sie ist etwas Kreatives. Dieser untereinander geteilte Sinn ist der „Leim“ oder „Zement“, der Menschen und Gesellschaft zusammenhält.
   Bohm vergleicht den Dialog mit der Diskussion. Das Wort Diskussion bedeutet zerschlagen, zerteilen, zerlegen. Betont wird in dieser Art von Gespräch die kritische Analyse, bei der es viele Ansichten geben kann und bei der jeder eine andere Meinung vorträgt, analysiert und zergliedert. Die Möglichkeiten davon sind begrenzt, eine Diskussion wird uns über die Feststellung unserer jeweiligen Standpunkte hinaus nicht viel weiterbringen. Der Kernpunkt einer Diskussion ist das Gewinnen des Spiels. Im Gegensatz dazu versucht bei einem Dialog niemand zu gewinnen. Wenn einer gewinnt, gewinnen alle. Es steckt ein anderer Geist dahinter. In einem Dialog wird nicht versucht, Punkte zu machen oder den eigenen Standpunkt durchzusetzen. Vielmehr gewinnen alle, wenn sich herausstellt, dass irgendeiner der Teilnehmer einer Fehler gemacht hat. Es gibt nur Gewinner, während das andere Spiel Gewinnen-Verlieren heisst – wenn ich gewinne, verlierst du. Aber ein Dialog hat eher etwas von gemeinschaftlichem Teilhaben, bei dem wir nicht gegeneinander spielen, sondern miteinander. In einem Dialog gewinnen alle.
   Ein grosser Teil von dem, was wir Diskussion nennen, wird nicht in vollem Ernst geführt. Es gibt alle möglichen Dinge, die als nicht verhandelbar angesehen werden und die nicht berührt werden dürfen. Die Leute wollen nicht einmal über diese Dinge reden. Das ist ein Teil des Problems.
   Es fällt den Menschen schwer zu kommunizieren, weil jeder Mensch andere Annahmen und Meinungen hat. Es handelt sich um grundlegende Annahmen, nicht einfach um oberflächliche Ansichten. Diese Annahmen werden verteidigt, wenn sie in Frage gestellt werden. Meist können die Leute der Versuchung nicht widerstehen, ihre Annahmen zu verteidigen, und sie neigen dazu, dies hoch emotional zu tun. In einer Dialoggruppe kristallisiert sich die Reibung zwischen gegensätzlichen Wertvorstellungen unweigerlich heraus und steht damit im Zentrum des Dialogs. Dadurch wird es den Teilnehmern möglich, sich die in der Gruppe wirksamen Annahmen bewusst zu machen, die eigenen eingeschlossen. Das Erkennen der Macht dieser Annahmen und ihre virusähnliche Natur können zu einem neuen Verständnis der fragmentarischen und selbstzerstörerischen Natur vieler unserer Denkprozesse führen. Durch dieses Verständnis kann es zu einem Nachlassen der gegenseitigen Abwehrhaltungen kommen und ein Gefühl natürlicher Wärme und Gemeinschaft kann die Gruppe erfüllen.
   Wir können diese Annahmen auch Meinungen nennen. Eine Meinung ist eine Annahme. Die meisten Meinungen sind nicht rational, sondern werden mit einer starken Gefühlsreaktion verteidigt. Mit anderen Worten, die Menschen identifizieren sich mit ihren Meinungen. Der Dialog muss all den Zwängen auf den Grund gehen, die hinter unseren Annahmen stehen. Der Dialog befasst sich mit den Denkprozessen hinter den Annahmen, nicht nur mit den Annahmen selbst.
   Das kreative Potential des Dialogs, seine Fähigkeit, die tieferen Bewusstseinsstrukturen zu enthüllen, hängt von einem anhaltenden, ernsthaften Einsatz der Teilnehmer ab. Im Dialog ist ein erhebliches Mass an Aufmerksamkeit erforderlich, um die versteckten Implikationen der eigenen Annahmen und Reaktionen im Auge zu behalten und gleichzeitig ähnliche Muster in der Gesamtgruppe zu spüren. Eine solche Aufmerksamkeit oder Achtsamkeit setzt kein angesammeltes Wissen oder eine bestimmte Technik voraus und verfolgt auch nicht das Ziel zu „berichtigen“. Es handelt sich bei dieser Aufmerksamkeit vom Wesen her um eine entspannte, nicht urteilende Neugier, deren Hauptaktivität es ist, alles so unbefangen und klar wie möglich wahrzunehmen.
   Die verschiedenen Meinungen, die wir haben, sind ein Ergebnis der Gedanken, die wir gedacht haben, der Erfahrungen, die wir gemacht haben, und von allem, was wir je gehört haben von anderen. Später identifizieren wir uns mit diesen Meinungen und beginnen sie zu verteidigen. All das macht wenig Sinn. Denn wenn die Meinung richtig ist, braucht sie keine Verteidigung, und wenn sie falsch ist, warum sollten wir sie verteidigen. Meinungen werden aber oft als „Wahrheiten“ erlebt. Im Grunde ist das Ziel des Dialogs, dem Denkvorgang auf den Grund zu gehen und den kollektiven Ablauf der Denkprozesse zu ändern. Dem Denken als Vorgang haben wir eigentlich nie sonderlich viel Aufmerksamkeit gewidmet. Wir denken, aber unsere Aufmerksamkeit gilt lediglich dem Gedankeninhalt, nicht dem Vorgang an sich. Das ist so, wie wenn wir eine Maschine hätten, mit der wir laufend Dinge produzieren, um deren Funktionieren wir uns aber nie kümmern würden. Dabei würde allerlei schief gehen.
   Im Bereich des Denkens kann es zum Beispiel zur Fragmentierung kommen. Das Denken splittert alles auf und verliert die Einheit von allem aus den Augen. Das Denken bewirkt etwas, ist sich aber darüber gar nicht bewusst, dass es die Quelle, die es verursacht, ist. Immer wenn wir ein Problem haben, sind wir der Meinung, wir müssten darüber nachdenken. Oft ist aber gerade das Denken das Problem. Also müssen wir das Denken betrachten.
   Im Dialog kommen Menschen zusammen, die in der Regel einen anderen individuellen Hintergrund haben und deshalb viele unterschiedliche Grundannahmen und Meinungen besitzen. Solange wir diese Meinungen verteidigen, oft auch unbewusst, kann kein echter Dialog zustande kommen. Wir versuchen dann, die anderen von unseren Meinungen zu überzeugen und finden das die natürlichste Sache der Welt. Der Stärkste wird in einem solchen Wettstreit gewinnen. Der Stärkste ist aber nicht notwendigerweise der mit der richtigen Meinung. Und vielleicht hat auch überhaupt keiner Recht.
   Sogar in der Wissenschaft kennt man oft dieses Problem, dass verschiedene Wissenschaftler an ihrer Sichtweise der Wahrheit festhalten und sich nicht einigen können. Die Wissenschaft sollte angeblich der Wahrheit und den Fakten verpflichtet sein. Aber das eigene Interesse und die Annahmen gewinnen die Oberhand. Annahmen und Meinungen stecken wie Computerprogramme in den Köpfen der Menschen fest. Diese Programme bringen ihre eigenen Absichten hervor. Eine Gruppe von 20 - 40 Teilnehmern ist deshalb so etwas wie ein Mikrokosmos der Gesamtgesellschaft. Kommen nur fünf oder sechs Leute zusammen, können sie sich normalerweise einander so anpassen, dass alles, was die anderen aufregen oder beunruhigen könnte, nicht zur Sprache kommt. Scott Peck redet da von Pseudogemeinschaft. Bei vielen Teilnehmern hält die Höflichkeit normalerweise aber nicht lange vor. Scott Peck redet dann von der Chaosphase. Mit 20-40 Teilnehmern haben wir eine Mikrokultur der Gesellschaft, eine Art Mikrokosmos der Gesamtkultur. Darin beginnt die Frage der Kultur, des kollektiv untereinander geteilten Sinns eine Rolle zu spielen. Diese kollektiv geteilte Bedeutung hat grosse Macht. Das kollektive Denken ist mächtiger als das individuelle Denken. Das individuelle Denken ist ohnehin zum grössten Teil Ergebnis des kollektiven Denkens und der Interaktion mit anderen Menschen. Die Sprache ist rein kollektiv und die meisten in ihr enthaltenen Gedanken sind es ebenfalls.
   Bohm redet von kohärentem und inkohärentem Denken. Er vergleicht das Denken mit einem Lichtstrahl von gewöhnlichem Licht, das nicht kohärent, das heisst zerstreuend ist, oder einem Laserstrahl, der gerichtet, also kohärent ist. Das normale Denken in der Gesellschaft erlebt er als inkohärent, es strebt in alle möglichen Richtungen und die Gedanken widersprechen sich und heben sich gegenseitig auf. Wenn Menschen gemeinsam auf kohärente Weise denken könnten, hätten ihre Gedanken eine ungeheuerliche Macht. Das ist seine These. Im dialogischen Prozess kommt es innerhalb einer Gruppe zu einer solchen kohärenten Gedankenbewegung, einer kohärenten Kommunikationsbewegung. Das Denken wird dabei nicht nur auf der bewussten Ebene kohärent, sondern auch auf einer stillschweigenden Ebene, der Ebene, für die wir nur ein vages Gefühl haben. Eine Kohärenz auf dieser Ebene ist noch wichtiger. In der Tiefe ist das Denken immer ein subtiler, stillschweigender Prozess. Der stillschweigende Prozess ist gemeinschaftlich. Er wird miteinander geteilt. Bohm ist der Meinung, dass wir in fünftausend Jahren Zivilisation den Kontakt zu diesem tieferen, gemeinsamen, stillschweigenden Prozess verloren haben und uns jetzt wieder darauf besinnen müssen. Wir müssen wieder ein gemeinsames Bewusstsein entwickeln, fähig sein gemeinsam zu denken und auf  intelligente Weise zu tun, was getan werden muss.
   In den Gesprächen mit Krishnamurti konnte Bohm vor allem die Einsicht gewinnen, dass die Probleme des Denkens im Wesentlichen kollektiver und nicht individueller Natur sind. Des Weiteren befassten sich die beiden vor allem mit dem Paradox des Beobachters und des Beobachteten.
   Als wichtig für das Führen des Dialoges betrachtet Bohm das Sitzen im Kreis, so dass niemand bevorzugt und eine direkte Kommunikation möglich wird. Es sollte weder eine Gruppenleitung, noch eine feste Tagesordnung geben. In der Regel löst das zuerst Ängste und Frustrationen aus, die aber bald (2 Stunden) überwunden sein werden. Am Anfang kann ein Dialogbegleiter nützlich sein, der die Gruppe eine Zeitlang im Auge behält und von Zeit zu Zeit erklärt, was gerade geschieht. Aber seine Aufgabe besteht vor allem darin, sich überflüssig zu machen. Bohm erachtet es als sinnvoll, dass Gruppen wöchentlich oder 14-täglich zusammenkommen über eine längere Zeit, zwei Jahre oder mehr. Die Gruppe ist nicht in erster Linie für individuelle Probleme da, da es hauptsächlich um kulturelle Konditionierungen geht. Das Persönliche darf aber durchaus zum Thema werden.
   Eine Dialoggruppe ist keine Therapiegruppe. Es wird nicht versucht, jemanden zu heilen, obwohl das als Nebenprodukt vorkommen kann. Bohm spricht von Soziotherapie im Gegensatz zur individuellen Therapie. Eine Dialoggruppe ist aber auch nicht eine Encountergruppe, wo das Hochkommen von Emotionen erzielt werden soll. Beim Dialog sollten die Teilnehmer direkt miteinander reden und mit der Zeit lernen, sich an die Gruppe als Ganzes zu wenden.
   Es werden darin keine Entscheidungen getroffen, was in irgendeiner Sache zu tun ist. Das ist von entscheidender Wichtigkeit. Sonst ist man nicht frei. Es braucht einen leeren Raum, ohne Verpflichtung etwas zu tun, zu Schlüssen zu kommen oder etwas zu sagen oder nicht zu sagen. Der Dialog bleibt offen und frei, ein leerer Raum. Ein leerer Raum, in den alles Mögliche hineinkommen kann. Die Gruppe kommt ohne feste Aufgaben und Ziele zusammen, das Ziel besteht lediglich darin, kohärent und in Wahrhaftigkeit miteinander zu kommunizieren. Man versucht in einer solchen Gruppe nicht, etwas Nützliches zu tun. Die Vorstellung von etwas Nützlichem wäre eine Annahme, welche die Gruppe einschränkt.
   Auch Bohm macht die Erfahrung, dass in einer neu gegründeten Dialoggruppe die Teilnehmer zuerst eine Zeitlang um den heissen Brei herumreden. Scott Peck nennt das die Pseudogemeinschaft. Diese Neigung ist offenbar ganz allgemein in zwischenmenschlichen Beziehungen zu beobachten. Wenn es gelingt, den Dialog eine Zeitlang aufrechtzuerhalten, wird man feststellen, dass sich die Gruppenmitglieder verändern und sich auch ausserhalb der Dialogsituation anders verhalten. Sie werden das weitergeben und auch an anderen Orten nicht mehr um den Brei herumreden. Der Dialog wird zwangsläufig tief sitzende Annahmen der Teilnehmer ans Licht bringen. Chaos und Frustration sind unvermeidlich. Es ist wichtig, trotz aller Frustrationen dazubleiben, damit etwas Neues entstehen kann. Der Dialog wird nicht immer unterhaltsam sein, die Versuchung wird gross sein aufzugeben. Das, was hilft dranzubleiben, ist der Sinn, den man mit anderen teilt. Die unterschiedlichen Annahmen der Menschen haben eine stillschweigende Auswirkung auf den gesamten Sinn dessen, was wir tun.
   Ganz wichtig findet Bohm, dass die Annahmen und Meinungen jedes Beteiligten, die in der Gruppe aufgedeckt werden, in der Schwebe gehalten werden, dass man also weder entsprechend der Annahmen handelt, noch sie unterdrückt. Weder ist man überzeugt von seinen eigenen Annahmen, noch zweifelt man sie an. Man beurteilt nichts, findet nichts gut oder schlecht. Es wird nicht versucht, jemanden dazuzubringen, seine Meinung zu ändern. Jeder wird lediglich dessen gewahr, was in den Köpfen der anderen vorgeht, ohne zu irgendwelchen Schlussfolgerungen oder Urteilen zu kommen. Die Annahmen werden einfach aufgedeckt.
   Es kann zwar auch vorkommen, dass eine Sitzung zum Beispiel durch Wut gesprengt wird. Diejenigen, die dann nicht völlig in ihren Meinungen gefangen sind, sollten dann einspringen und versuchen, die Situation zu entschärfen, so dass die Gruppe sie betrachten kann. Es geht darum, den Dialog auf einer Ebene zu halten, wo die Meinungen ans Licht kommen, man sie aber noch ansehen kann. Beim Dialog geht es vielmehr um einen freien Fluss von Bedeutungen zwischen den Teilnehmern als um ein bestimmtes Thema. Mit der Zeit wird es viel wichtiger, die Freundschaft in der Gruppe zu spüren und zu erhalten, als eine bestimmte Meinung zu vertreten. Gemeinschaft entsteht, würde Scott Peck dazu sagen.
   Diese Art von Freundschaft beziehungsweise Gemeinschaft ist nicht von der persönlichen Beziehung zwischen den Teilnehmern abhängig. Eine neue Denkweise beginnt damit ins Leben zu treten, die auf der Entwicklung einer gemeinsamen Bedeutung basiert, die sich ständig im Dialog transformiert. Alle Beteiligten nehmen an dieser gemeinsamen Bedeutung teil, und die Gruppe hat bei dieser Entwicklung keinen von vornherein festgelegten Zweck. Kein Sprecher und kein bestimmter Inhalt sind dabei ausgeschlossen. Eine Veränderung nicht nur der Beziehung zwischen Menschen, sondern darüber hinaus eine Veränderung des Bewusstseins, indem diese Beziehungen entstehen, beginnt sich darin abzuzeichnen. Wir versuchen nicht, irgendetwas zu ändern, wir versuchen nur, uns all dessen bewusst zu werden. Und man kann die Ähnlichkeit zwischen den Schwierigkeiten, die in der Gruppe auftreten und den Konflikten und inkohärenten Gedanken in einem Einzelnen bemerken.
   Wenn wir das tun, werden wir feststellen, dass bestimmte Arten von Gedanken eine grössere Rolle spielen als andere.
   Einer der wichtigsten Gedanken überhaupt ist der des Notwendigen. Das Notwendige erscheint uns als unausweichlich. Im Dialog kann daher eine Situation entstehen, in der die eigene Meinung nicht beiseite geschoben werden kann und die des anderen ebenfalls nicht. Es entsteht dann das Gefühl, dass die Meinung des anderen in einem arbeitet, gegen einen opponiert. Beide befinden sich in einer Konfliktsituation. Wenn die Leute überzeugt sind, dass etwas notwendig ist, verstossen sie sogar gegen den Selbsterhaltungstrieb. Die Konflikte im Dialog, sowohl individuell als auch kollektiv – das ist wichtig –, drehen sich um die Vorstellung der Notwendigkeit. Bei allen ernsthaften Konflikten, ob nun in der Familie oder im Dialog geht es um verschiedene Sichtweisen des absolut Notwendigen. Solange es nicht diese Form annimmt, kann man die Angelegenheit immer noch aushandeln, aber wenn zwei Dinge absolut notwendig sind, kann man den gewohnten Weg der Verhandlung nicht einschlagen. Das, was zu tun ist, ist, lediglich die verschiedenen Vorstellungen vom absolut Notwendigen aufzudecken und miteinander in Widerstreit treten zu lassen. Die Menschen vermeiden das normalerweise, weil sie wissen, dass es dann Ärger gibt, und so gehen sie diesen Fragen aus dem Weg. Aber wenn wir den Dialog aufrechterhalten, werden sie ans Licht kommen. Mit der Zeit beginnen die Parteien zu erkennen, dass sich nichts bewegen kann, solange sie an der eigenen absoluten Notwendigkeit festhalten. Jeder beginnt zu erkennen, wie viel zerstört wird, nur weil man an dieser Vorstellung unbedingt festhalten will. Und vielleicht setzt sich dann die Einsicht durch, dass das, was bisher als unbedingt notwendig angeschaut wurde, vielleicht letztlich auch nicht so wichtig ist. Der Dialog kann dann in eine kreative, neue Phase eintreten. Diese Freiheit ermöglicht die kreative Wahrnehmung neuer Ordnungen der Notwendigkeit.
   Bohm betrachtet dies als einen der ganz entscheidenden Punkte: Sobald wir auf eine Annahme stossen, müssen wir wahrnehmen, ob sie mit einer absoluten Notwendigkeit assoziiert ist. Dann werden wir erkennen, dass aus diesem Grund nichts mehr geht.
   Der Dialog zielt auf ein Verstehen des Bewusstseins  per se und gleichzeitig auf die Erkundung der problematischen Natur alltäglicher Beziehungen und der Kommunikation ab. Diese Definition bildet ein Fundament, einen Bezugspunkt für die Schlüsselkomponenten des Dialogs, als da sind: Miteinander geteilte Bedeutungen, das Wesen des kollektiven Denkens, die Allgegenwart der Fragmentierung, die Funktion der Aufmerksamkeit, der mikrokulturelle Kontext, angeleitete Prüfung, unpersönliche Gemeinschaft und das Paradox des Beobachters und des Beobachteten. Der Dialog ist ein Prozess direkter Begegnung von Angesicht zu Angesicht und sollte nicht mit endlosem Theoretisieren und endloser Spekulation verwechselt werden.
   Bohm ist der Meinung, dass sich während der Evolution des Menschen ein Reservoir stillschweigenden und offenkundigen Wissens angesammelt hat. Dieses Wissensreservoir ist es, aus dem ein Grossteil unserer Wahrnehmung der Welt stammt, der Bedeutung, die wir Geschehnissen zuschreiben, ja selbst unseres Gefühls von Individualität. Ein solches Wissen oder Denken verbreitet sich unabhängig von jedem Einzelnen, ja selbst von einer bestimmten Kultur wie ein Virus. In diesem Licht betrachtet sind unsere Versuche, unsere Probleme durch hoch personalisierte Analyse zu lösen oder aber dadurch, dass wir anderen Gruppen oder Individuen böse, ungünstige Eigenschaften zuschreiben, nur begrenzt hilfreich. Erforderlich ist, dass wir anfangen, ganz neu auf die Bewegung des Denkens zu achten und uns Orte ansehen, die wir zuvor ignoriert haben. Bohm benutzt die Analogie eines Flusses, der unentwegt an der Quelle verunreinigt wird. Ein Versuch, die Wasserverunreinigung stromabwärts zu beseitigen, kann daher nicht zur Lösung führen. Die wahre Lösung besteht darin, den Ursprung der Verunreinigung an der Quelle und das heisst eben beim Denkvorgang anzugehen.
   Im Dialog wird also dem Denken unsere Aufmerksamkeit zugewendet. Dadurch stossen wir zum Kern unserer Probleme vor und bereiten den Weg für eine kreative Transformation. Das Denken ist sich gegenwärtig seiner Konsequenzen zu wenig bewusst. In Bezug auf den Körper gibt es ein Phänomen, das Propriozeption oder Eigenwahrnehmung genannt wird. Der Körper kann seine eigenen Bewegungen wahrnehmen. Er ist sich zum Beispiel darüber bewusst, ob er sich selbst bewegt oder bewegt wird. In Bezug auf das Denken haben wir bisher keine solche Eigenwahrnehmung entwickelt. Bohm erachtet es als notwendig, dass auch das Denken propriozeptiv wirkt. Ein solches Denken wird sich nicht so verheddern, wie wir es normalerweise kennen. Wir könnten sagen, dass praktisch sämtliche Probleme der Menschheit auf die Tatsache zurückzuführen sind, dass das Denken nicht propriozeptiv, sich seiner selbst nicht bewusst ist. Es schafft Probleme, ohne zu erkennen, dass es selbst diese Probleme geschaffen hat. Der Sinn des In-der-Schwebe-Haltens ist es, Propriozeption möglich zu machen, einen Spiegel zu schaffen, damit wir die Folgen unseres Denkens erkennen können.
   Mit der Zeit werden wir in der Lage sein, uns unsere Meinungen ohne Feindseligkeiten mitzuteilen und dann gemeinsam zu denken. Solange wir unsere Meinung verteidigen, können wir das nicht. In einem gemeinsamen Denken wird jemand eine Idee haben, ein anderer wird sie aufgreifen, und ein dritter wird noch etwas hinzufügen. Das Denken wird fliessen und die Menschen werden aufhören, in Meinungen verrannt zu sein und einander gegenseitig überreden und überzeugen zu wollen. Der Sinn des Dialogs ist nicht, etwas zu analysieren, eine Auseinandersetzung zu gewinnen oder Meinungen auszutauschen. Das Ziel ist vielmehr, die eigenen Meinungen in der Schwebe zu halten und sie zu überprüfen, sich die Ansichten aller anderen Teilnehmer anzuhören, sie in der Schwebe zu halten und zu sehen, welchen Sinn sie haben. Wenn wir erkennen können, welchen Sinn all unsere Meinungen haben, teilen wir einen gemeinsamen Gedankeninhalt, selbst wenn wir nicht direkt übereinstimmen. Möglicherweise stellt sich dann heraus, dass die Meinungen eigentlich gar nicht so furchtbar wichtig sind. Wenn jeder die Standpunkte aller anderen in der Schwebe hält, tun alle dasselbe. Alle betrachten gemeinsam alle Standpunkte. Der Inhalt unseres Bewusstseins ist dann im Wesentlichen gleich. Dadurch wird eine andere Art des Bewusstseins in der Gruppe möglich, ein partizipierendes Bewusstsein. Das könnten wir als wahren Dialog bezeichnen, Scott Peck hätte es wirkliche Gemeinschaft genannt.
   Alle Teilnehmer werden darin an allen Annahmen und Meinungen in der Gruppe teilhaben. Wenn alle gemeinsam den Sinn aller Annahmen erkennen, sind die Bewusstseinsinhalte im Wesentlichen gleich.
   Überzeugung und Überredung sind in einem Dialog unangebracht. Solange wir die Annahmen von anderen bekämpfen, versuchen wir sie zu überzeugen oder zu überreden. Es macht keinen Sinn überredet oder überzeugt zu werden. Dies ist weder kohärent noch rational. Wenn jemand Recht hat, muss er andere nicht überreden. Wenn jemand andere überreden muss, ist die Sache wahrscheinlich irgendwie zweifelhaft. In der Partizipation entsteht ein gemeinsamer Sinn, der dennoch das Individuelle nicht ausschliesst. Das Individuum kann verschiedener Meinung sein als jemand anderes, aber seine Ansicht wird dann ebenfalls von der Gruppe aufgenommen. Darin ist jeder völlig frei. Das hat nichts mit einem Mob zu tun, in dem der kollektive Geist die Kontrolle übernimmt. Jeder kann sich zwischen den Polen des Individuums und des Kollektivs frei bewegen. Es entsteht eine Harmonie des Individuellen und des Kollektiven, indem sich das Ganze fortwährend auf Kohärenz zubewegt. Es gibt einen kollektiven Geist und einen individuellen Geist, welche die Ufer bilden, zwischen denen der Fluss des Dialogs stattfindet. Die Meinungen spielen daher keine allzu grosse Rolle mehr.
   Die Gesellschaft basiert auf gemeinsamen Sinnsetzungen, die die Kultur ausmachen. Gegenwärtig ist die Ansammlung gemeinsamer Sinnsetzungen in der Gesamtgesellschaft derart inkohärent, dass kaum noch eine wirkliche Bedeutung festzustellen ist. Eine Folge des dialogischen Prozesses könnte sein, dass wir ganz natürlich und mühelos viele unserer Sinnsetzungen fallenlassen. Wir werden nie zur Wahrheit gelangen, wenn der Gesamtsinn nicht kohärent ist. Wenn ein kohärenter Sinn entstehen würde, würde sich eine Kultur herausbilden, wie sie noch niemals wirklich existiert hat. Eine Kultur könnte entstehen, in der Meinungen und Annahmen nicht inkohärent verteidigt werden. Wenn ein Einzelner alle Sinnsetzungen im Geist in der Schwebe halten kann, besitzt er die Haltung des Dialogs. Diese Haltung ist notwendig für eine neue Geschichte.
   Einen Dialog zu führen kann zumindest zu Beginn sehr frustrierend sein. Es ist frustrierend, diese Vielfalt von Meinungen in der Gruppe zu haben. Die einen wollen sich durchsetzen, das ist ihre Art, mit der Situation umzugehen. Andere neigen dazu, sich zurückzuhalten, vor allem in der Gegenwart dominanter Personen. Es gibt solche, die die dominante Rolle spielen, andere die Rolle des Schwachen und Machtlosen, der sich dominieren lässt. Diese Rollen basieren natürlich auch wieder auf Annahmen und Meinungen über sich selbst.
   Eine andere Schwierigkeit besteht darin, dass in Gruppen oft ein Druck entsteht, möglichst schnell seine Meinung einzubringen. Es gibt gar keine Zeit mehr, das Gesagte aufzunehmen oder darüber nachzudenken. Es ist daher wichtig, in einer Gruppe genügend Raum für alle zu schaffen. Weder sollte man sich zu schnell zu Wort melden, noch sollte man allzu lange damit warten. Es sollte auch Schweigeperioden geben. Scott Peck redet vom Stadium der Leere.
   Allerdings gibt es keine Regeln für den Dialog, höchstens hilfreiche Prinzipien, die man miteinander entdeckt. Zum Beispiel, dass man jedem Teilnehmer die Möglichkeit geben muss, sich zu äussern. Man hat den Sinn davon eingesehen und will es daher so tun.
   Es wird in einer Dialoggruppe auch immer wieder Leute geben, die weggehen, weil sie den Sinn davon nicht einsehen können. Der wichtigste Beweggrund, trotz aller Schwierigkeiten am Dialog dranzubleiben, besteht in der Einsicht, dass wir daran glauben, dass wir ihn führen müssen. Es geht darum, ein Band zu schaffen, das wir unpersönliche Gemeinschaft nennen könnten. Ein gemeinsames Bewusstsein. Ein solches anzustreben muss nicht unbedingt angenehm sein. Miteinander geteilte Glückseligkeit beziehungsweise ein Gemeinschaftsgefühl wird sich erst mit der Zeit einstellen.
   Es gibt keinerlei Grund, an einer Annahme festzuhalten, wenn es Hinweise darauf gibt, dass sie falsch sein könnte. Eine korrekt strukturierte Annahme oder Meinung ist immer offen für Hinweise, dass sie nicht richtig sein könnte. Es ist nicht notwendig, dass jeder überzeugt und zur gleichen Meinung bekehrt wird. Der gemeinsame Geist, das gemeinsame Bewusstsein ist wichtiger als der Inhalt der Meinungen. Man wird bald erkennen, dass diese Meinungen ohnehin begrenzt sind. Wenn unsere Sinnsetzungen inkohärent sind, wie sollen wir dann in Wahrheit partizipieren. Der Versuch, den dialogischen Geist in die Gesellschaft hineinzutragen, wäre sicherlich relevant dafür, eine kreative und harmonische Ordnung in der Welt herbeiführen zu helfen. Dass wir die Frustrationen des Dialogs aushalten, kann eine weit grössere Bedeutung haben, als es auf den ersten Blick scheint. Tatsächlich könnten wir sagen, dass wir dadurch nicht mehr Teil des Problems sind, sondern zu einem Teil der Lösung werden. Mit anderen Worten: Die Bewegung in unserem Geist hat die Eigenart der Lösung, sie ist ein Teil der Lösung. So klein sie auch sein mag, sie gehört von der Beschaffenheit her zur Lösung und nicht zum Problem. Wie gross auch immer die grössere Bewegung sein mag, sie gehört von der Beschaffenheit her zum Problem, nicht zur Lösung. Folglich geht es hauptsächlich darum, mit etwas zu beginnen, was von der Qualität her zur Lösung gehört. Dies wird sich auf der stillschweigenden Ebene mitteilen und von der stillschweigenden Ebene aus in der Welt Einfluss nehmen.
   Von der Vorstellung der Wahrheit muss man sich hüten. Man kann möglicherweise durch den Dialog zur Wahrheit gelangen, aber im Grunde geht es im Dialog um Sinn. Wenn der Sinn inkohärent ist, wird man nie zur Wahrheit gelangen. Was nützt es, die Wahrheit für uns selbst oder für unsere Gruppe gepachtet zu haben. Es ist ein geringer Trost, wenn es weiterhin Konflikte gibt. Wichtig ist es, einander zuzuhören. Dies ist verloren gegangen. In gewisser Weise ist sogar die Naturwissenschaft zur Religion der modernen Zeit geworden. Sie spielt die Rolle der Wahrheitsstifterin, die die Religion früher innehatte. Daher können Wissenschaftler ebenso wenig zusammenkommen wie unterschiedliche Religionen, wenn sie sich einmal zu weit auseinander bewegt haben. Zu den Prinzipien des Dialogs gehört es, dass wir einander zuhören und keine Möglichkeit ausschliessen. Eine Annahme der Wissenschaft heute, der sich praktisch alle Wissenschaftler angeschlossen haben, besteht darin, dass das Denken fähig sei, irgendeinmal alles zu begreifen. Dass wir irgendeinmal absolute Wahrheit erkennen werden. Dies ist möglicherweise nicht zutreffend. Und auch die Relativisten haben nicht Recht, die behaupten, dass wir nie zur Erkenntnis einer absoluten Wahrheit gelangen werden, denn sie sind in einem eigenen Paradox gefangen, indem sie annehmen, dass der Relativismus die absolute Wahrheit ist. Menschen, die glauben, dass sie zu irgendeiner Form von absoluter Wahrheit finden werden, können keinen Dialog führen.
   Im Dialog gehen wir alle Wege gemeinsam und erkennen schliesslich, dass keiner eine Rolle spielt. Wir sehen die Bedeutung aller Wege und gelangen daher zum Nichtweg. Unterhalb der Oberfläche sind alle Wege gleich, eben aufgrund der Tatsache, dass sie alle Wege sind, starr und unbeweglich. Wenn wir das Denken anderer erkennen, wird es zu unserem Denken und wir behandeln es, als sei es unser Denken. Und wenn eine emotionale Ladung hochkommt, teilen wir auch alle emotionalen Ladungen, so sie uns bewegen, wir halten sie zusammen mit allen Gedanken. Bohm redet von der Vision des Dialoges: Einer in der Gruppe bringt einen Gedanken ein, den man vielleicht gerade selbst hatte. Ein weiterer greift ihn auf und führt ihn weiter. So kommt es zu einem gemeinsamen Denken in einer funktionierenden Gruppe, zu einer gemeinsamen Partizipation am Denken. Alles ist ein einziger Prozess. Ein Gedanke wird gemeinsam entwickelt. Wenn sich dann jemand mit einer anderen Meinung zu Wort meldet, hören alle ihm zu und teilen auch diesen Sinn zusammen.
   Im dialogischen Prozess entwickelt sich Sensibilität, ganz ohne dass wir etwas dafür tun. Sensibilität ist die Fähigkeit zu spüren, dass etwas vorgeht, zu spüren, wie man selbst reagiert, wie die anderen reagieren. Diese vielen Unterschiede und Ähnlichkeiten zu empfinden. Das alles ist die Grundlage der Wahrnehmung. Sensibilität hat etwas mit den Sinnen zu tun, aber geht noch darüber hinaus. Es geht um die Wahrnehmung von Bedeutung, von Sinn, es geht um eine subtilere Wahrnehmung. Der Sinn ist das, was alles zusammenhält, der Zement. Der Sinn ist nicht statisch, er fliesst. Und wenn wir den Sinn miteinander teilen, fliesst der zwischen uns und hält die Gruppe zusammen. Wenn die Teilnehmer hingegen an ihren Annahmen festhalten, denken sie nicht gemeinsam. Jeder steht damit allein. Die Sensibilität wird durch die Verteidigung von Annahmen und Meinungen blockiert.
   Eine Gruppe wird weder verurteilen noch verdammen. Wenn jemand seine Annahmen verteidigt, dann tut er das halt, und man wird sich auch dem wieder mit einer offenen Wahrnehmung zuwenden. Eine dialogische Gruppe wird einfach alle Meinungen und Annahmen genau betrachten und sie ans Licht kommen lassen. Daraus wird eine Veränderung kommen.
   Ein typisches Problem beim Führen eines Dialogs ist die Polarisierung. Plötzlich ist eine Gruppe gespalten in zwei Lager. Offenheit auch für dieses Phänomen wird wieder zu einer Lockerung führen.
   Wenn man seine Meinungen verteidigt, ist man nicht ernsthaft. Auch wenn man versucht, dem Wissen um etwas Unangenehmes in einem selbst aus dem Weg zu gehen, ist man es nicht. Ein Grossteil unseres Lebens ist nicht ernsthaft. Und die Gesellschaft ist es, die uns das lehrt. Sie lehrt uns, nicht allzu ernsthaft zu sein, sie lehrt uns, dass es alle möglichen inkohärenten Dinge gibt und wir nichts dagegen tun können, und dass wir uns nur unnötig aufregen, wenn wir zu ernsthaft sind. Aber wenn wir einen Dialog führen, müssen wir ernsthaft sein. Wenn wir das nicht sind, ist es kein Dialog.
   Im Dialog gibt es keinen Platz für das Autoritätsprinzip, für Überordnungen und Unterordnungen. Wir wollen frei sein von Hierarchie und Autorität, wenn wir uns bewegen. Da wir in einem Dialog keine festen Zielsetzungen und keine Tagesordnung haben und nichts tun müssen, brauchen wir im Grunde genommen keine Autorität. Vielmehr brauchen wir einen Raum, in dem es keine Autorität gibt, keine Hierarchie, keine bestimmten Aufgaben und Ziele, eine Art leerer Raum, wo wir zulassen können, dass über alles geredet wird. Das Entscheidende ist, dass wir in der Lage sind, unsere Urteile und Annahmen gemeinsam zu überprüfen und die Annahmen des jeweils anderen anzuhören. Durch den Dialog werden Urteile und Annahmen auf kollektive Weise gelockert.
   Eine Transformation des Wesens des Bewusstseins ist möglich auf der individuellen und auf der kollektiven Ebene, und ob wir das kulturell und gesellschaftlich lösen können, hängt vom Dialog ab. Das ist Bohms These. Es ist von grösster Wichtigkeit, dass dies gemeinsam geschieht, denn die Veränderung nur eines Individuums hat wenig Einfluss auf das Allgemeine. Die Bedeutung einer kollektiven Transformation ist weit grösser. Die Liebe wird verschwinden, wenn wir nicht miteinander kommunizieren und eine gemeinsame Sinnsetzung (Scott Peck spricht von Konsens) finden können. Wenn wir jedoch zu einer wirklichen Kommunikation fähig sind, werden Gemeinschaft, Partizipation, Freundschaft und Liebe wachsen und gedeihen. Das wäre der Weg.
   Die entscheidende Frage ist, ob wir die Notwendigkeit dieses Prozesses einsehen. Wenn man einsieht, dass etwas absolut notwendig ist, wird man etwas unternehmen. Schliesslich könnte dieser Prozess noch über Dialog hinausführen in etwas, was Kommunion genannt worden ist. Eine Partizipation nicht nur an der Gruppe, sondern am Ganzen.

Bohm sieht all unsere menschlichen Probleme im Grossen und Kleinen als Folge der Arbeitsweise unseres Denkens. Vor allem die Fragmentierung, eine bestimmte Denkweise, die die Dinge in Teilstücke aufspaltet, als würden sie getrennt voneinander existieren, ist dafür verantwortlich. Dinge, die in Wirklichkeit zusammenpassen und zusammengehören, werden behandelt, als wäre dem nicht so. Ein solches Denken führt in die Irre. Diese Entgleisung des Denkens hat möglicherweise vor tausenden oder zehntausenden von Jahren begonnen, wir wissen es nicht. Was wir aber müssen ist etwas gegen diese Vorgehensweise des Denkens unternehmen. Wir können nicht zulassen, dass sie uns vollends zerstört. Dabei müssen wir bis in die Wurzel des Problems vordringen, an das Fundament, an die Quelle. Wenn ein Strom kurz nach der Quelle verunreinigt wurde, hilft es wenig, weiter stromabwärts das Wasser reinigen zu wollen. Was es braucht ist eine Korrektur direkt an der Quelle. Die These Bohms ist, dass unser Denken bereits direkt an der Quelle verunreinigt wird. Daher ist die Ursache nicht in der Zeit zu suchen, auch nicht in der Zeit, wo dieses Problem begann, sondern immer jetzt. Dabei geht es nicht nur darum, übers Denken zu reden und nachzudenken, sondern zu sehen, wie das Denken wirklich arbeitet, über das Benennen mit Worten hinaus. Das Denken ist ein Vorgang, wir müssen in der Lage sein, ihm unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, so wie wir äusseren Vorgängen in der materiellen Welt unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Vielleicht wissen wir zuerst gar nicht, was das heisst, dem Denken unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Vom Denken hängt alles ab; wenn das Denken fehlgeht, werden wir alles falsch machen. Aber wir sind so sehr daran gewöhnt, das Denken als selbstverständlich hinzunehmen, dass wir es als Prozess überhaupt nicht mehr beachten. Die Frage, die sich stellt, ist: Was ist das für eine Verfahrensweise, die unentwegt die falsche Art  Zusammenleben hervorbringt? Was geht in der Tiefe vor? Die wirkliche Krise besteht nicht aus Kriegen, Kriminalität, den Drogen, dem wirtschaftlichen Chaos, der Umweltverschmutzung und so weiter, sondern sie besteht im Denken, das sie verursacht und zwar unentwegt. Es hilft auch nicht zu denken, die da drüben denken verkehrt, aber ich denke richtig. Das Denken durchdringt uns vollständig. Es ist vergleichbar mit einem Virus. Es geht um eine Erkrankung des Denkens, des Wissens, der Information, die sich auf der ganzen Welt und überall ausgebreitet hat. Jeder Einzelne ist an diesem Virus erkrankt. Wir bekämpfen den Virus nur, indem wir ihn erkennen und seine Existenz anerkennen. Sobald einer beginnt, sich das Denken genauer anzuschauen, betrachtet er die Quelle der Probleme. Denn etwas läuft schief in Bezug auf den Gesamtprozess des Denkens, der kollektiv und uns allen gemeinsam ist.
   Eine grundlegende Annahme, die wir in Frage stellen müssen, ist die, dass unser Denken unser eigenes individuelles Denken ist. Wir müssen erkennen, was das Denken wirklich ist, ohne dass wir etwas voraussetzen. Die Tiefenstruktur des Denkens ist das, was uns gemeinsam ist, und an sie müssen wir herankommen. Wir werden erkennen, dass der Inhalt des Denkens und die Tiefenstruktur nicht wirklich getrennt sind voneinander, denn die Art und Weise, wie wir über das Denken denken, hat Auswirkungen auf seine Struktur. Also müssen wir sowohl Inhalt als auch Struktur genauer betrachten.
   Bohms These ist, dass nicht wir etwas wissen, sondern das Wissen selbst alle möglichen Dinge weiss. Wissen, was gleichbedeutend mit Denken ist, bewegt sich autonom und geht von einem Menschen auf den nächsten über. Es gibt ein Wissensreservoir für die gesamte Menschheit, vergleichbar mit verschiedenen Computern, die einen gemeinsamen Datenspeicher haben. Dieses Gedankenreservoir ist seit Jahrtausenden in Entwicklung begriffen und angefüllt mit allen möglichen Inhalten. Dieses Wissen oder Denken kennt den gesamten Inhalt, aber es weiss nicht, was es tut. Dieses Wissen verkennt sich selbst, indem es meint zu wissen, dass es nichts tut. Es erklärt: „Ich bin für dieses Problem nicht verantwortlich. Ich bin nur dazu da, dass du aus mir schöpfen kannst.“ Dieses Denken ist eine Funktion des Gedächtnisses. Ein grosser Teil davon ist stillschweigendes Wissen, Wissen, das man nicht in Worte fassen kann, das aber dennoch vorhanden ist. Ohne dieses stillschweigende Wissen können wir praktisch nichts tun.
   Wir sind der Meinung, dass, wenn wir etwas gedacht haben, sich dieser Gedanke wieder in Luft auflöst. Aber der Gedanke setzt sich im Gehirn fest als Erinnerung. Als Gedächtnis. Denken und Fühlen sind ein und derselbe Prozess, nicht zwei verschiedene. Und beide kommen aus dem Gedächtnis, wo sie wahrscheinlich untrennbar miteinander vermischt sind.
   Möglicherweise haben sich unsere Grosshirnrinde und unser Vorderhirn in der Evolution so schnell entwickelt, dass keine harmonische Beziehung zu den älteren Teilen, die vorher schon da waren, zustande kam. Das alte Gehirn hatte es nie so richtig gelernt, den Unterschied zwischen einem Bild und der Wirklichkeit auszumachen, weil das nicht notwendig war. Mit der Entwicklung des Grosshirns wurde es möglich, an etwas zu denken und damit ein Bild davon in der Vorstellung hervorzurufen. Ein Vorstellungsbild kann in uns dieselbe Denkreaktion hervorrufen, wie das Ding selbst.
   Die Hauptumgebung des alten Gehirns ist inzwischen nicht mehr die Natur, sondern das neue Gehirn, denn die Natur wird nur noch durch den Filter dieses Grosshirns wahrgenommen. Vielleicht hat dies alles damit zu tun, dass unser Denken in die Irre gegangen ist. Vorstellungen und Bilder haben eine gewaltige Wirkung in uns bekommen, weil das Denken fähig ist, uns eine Repräsentation dessen zu liefern, was wir erfahren. Die Wahrnehmung präsentiert uns etwas, und das Denken abstrahiert es, repräsentiert es. Das Entscheidende, der Kernpunkt ist, dass diese Repräsentation nicht nur im Denken oder in der Vorstellung gegenwärtig ist, sondern mit der tatsächlichen Wahrnehmung oder Erfahrung verschmilzt. Mit anderen Worten, die Repräsentation verschmilzt mit der Präsentation, so dass das als Wahrnehmung präsentierte bereits zum grossen Teil eine Repräsentation ist. Also präsentiert es sich erneut. Wie man etwas erfährt, hängt davon ab, wie man es repräsentiert oder miss-repräsentiert. Falsch an diesem Prozess ist nicht, dass er stattfindet, sondern dass wir uns dessen nicht bewusst sind. Der Mangel an Bewusstheit in Bezug auf diesen Vorgang ist das Entscheidende. Wenn jemand uns erklärt, „Leute dieser Kategorie sind schlecht“, und wir das akzeptieren, geht die Repräsentation des Denkens in die Präsentation der Wahrnehmung ein. Sobald wir das Vorurteil akzeptiert haben, geht es ins implizierte, stillschweigende Denken über. Wenn wir dann einem solchen Menschen begegnen, kommt es als Präsentation hoch. Die Schlechtigkeit wird dann als etwas, was diesem Menschen eigen ist, wahrgenommen.
   Wichtig ist zu erkennen, dass die meisten unserer Repräsentationen kollektiv entstehen, und dass dies ihnen noch grössere Macht verleiht. Wenn alle sich über etwas einig sind, nehmen wir das gern als Beweis, dass es richtig ist oder doch richtig sein könnte. Dadurch geraten wir unter Druck, denn wir wollen nicht ausserhalb des allgemeinen Konsenses stehen. Das heisst, dass wir ständig unter dem Druck stehen, eine bestimmte Repräsentation zu akzeptieren und es eben so zu sehen. Der Konsens überall auf der Welt lautet zum Beispiel, dass man ein Selbst hat, denn alles weist darauf hin, dass wir eines haben. Wenn alles glatt läuft, können wir unmöglich erkennen, dass hier etwas nicht stimmt. Denn wir haben bereits die Annahme akzeptiert, dass das, was geschieht, unabhängig vom Denken ist.
   Wenn etwas repräsentiert wird und dann auf diese Weise präsentiert wird, können wir nicht erkennen, was geschieht. Der Vorgang ist von der Wahrnehmung ausgeschlossen. Sobald wir uns diesen Dingen zuwenden, bekommen wir langsam ein Gefühl dafür, wo wir in die Irre gehen, dass nämlich ein Grossteil von dem, was wir für Fakten halten, in Wirklichkeit keine sind. Unsere Sichtweise der Welt ist bestimmt von den allgemeinen, kollektiven Repräsentationen, die in unserer Wissenschaft und unserer Kultur gang und gäbe sind. Wenn wir diese fallen lassen könnten, wäre eine Veränderung vielleicht möglich, weil die Welt anders präsentiert wird. Wenn wir lernen könnten zu sehen, wie das Denken Präsentationen aus Repräsentationen schafft, würden wir uns nicht länger davon täuschen lassen.
   Um eine Welt zu schaffen, braucht es mehr als einen Einzelnen, und daher ist die kollektive Repräsentation der Schlüssel. Es reicht nicht, wenn ein Einzelner seine Repräsentationen beendet. Es ist zwar gut, wenn er es tut, aber die wahre Veränderung liegt in der Transformation der kollektiven Repräsentation.
   Bohm erkundet also die Art und Weise, in der die Inputs der Wahrnehmung mit dem Gedächtnis verschmelzen, so dass Repräsentationen erzeugt werden, die unsere Augenblickserfahrung leiten. Das ist ein natürlicher und notwendiger Vorgang, und doch ist die Ursache der kollektiven Inkohärenz im Prozess der Konstruktion dieser Repräsentationen zu suchen. Laut Bohm liegt die grundlegende Schwierigkeit darin, dass wir automatisch annehmen, unsere Repräsentationen seien ein wahrheitsgetreues Abbild der Realität, anstatt von relativen Handlungswegweisern auszugehen, die auf reflexiven, unhinterfragten Erinnerungen beruhen. Sobald wir annehmen, dass die Repräsentationen von Grund auf wahr sind, präsentieren sie sich selbst als Realität, wir haben keine andere Wahl als entsprechend zu handeln.
   Bohm schlägt nun nicht vor, den Versuch zu machen, den Prozess der Repräsentation zu ändern (was unmöglich sein mag), sondern dass wir der Tatsache gewahr werden, dass jede gegebene Repräsentation, die wir instinktiv als Realität wahrnehmen, möglicherweise alles andere als wirklich oder wahr sein mag. Wenn wir sie von einem solchen Blickwinkel aus betrachten, wären wir vielleicht in der Lage eine Qualität reflektierender Intelligenz in uns zu wecken, eine Art Urteilsfähigkeit, die uns erlaubt, grundlegend falsche Repräsentationen wahrzunehmen und auf sie zu verzichten.

Bohm weist auch darauf hin, dass es sich bei vielen menschlichen Problemen um Paradoxe und nicht um Probleme handelt, dass wir aber allgemein darin übereinstimmen, dass es Probleme sind. Dadurch wird eine grundlegend widersprüchliche Struktur geschaffen. Nach Bohms These stehen wir in Wirklichkeit vor einem Paradox, nicht vor einem Problem. Da ein Paradox keine erkennbare Lösung hat, ist eine neue Herangehensweise erforderlich, nämlich anhaltende Aufmerksamkeit für das Paradox selbst, statt eines entschlossenen Versuchs, das Problem zu beseitigen.
   Aus Bohms Blickwinkel gesehen hat diese Verwechslung von Problem und Paradox Auswirkungen auf allen Ebenen der Gesellschaft, von der individuellen bis zur globalen. Wenn etwas auf der psychischen Ebene schief läuft, führt es in die Irre, die daraus resultierende Situation als Problem zu beschreiben. Es wäre besser zu sagen, dass wir uns mit einem Paradox konfrontiert sehen. Erforderlich ist in einem solchen Fall nicht irgendein Verfahren zur Problemlösung. Solange dieses Denken und Fühlen die Oberhand behält, gibt es schlicht und einfach keine Möglichkeit, die Sache in Ordnung zu bringen. Aufmerksamkeit, die weit über das bloss Verbale und Intellektuelle hinausgeht, kann die Wurzel des Paradoxons zur klaren Erkenntnis bringen. Das Paradox löst sich auf, wenn seine Nichtigkeit und Absurdität klar erkannt und verstanden wird. Es kann sich aber nicht auflösen, solange es als Problem behandelt wird. Das Problem kann dann nur wachsen und in ständig wachsende Verwirrungen ausufern. Denn es ist ein wesenhaftes Merkmal des Denkens, dass das Gehirn an einem Problem arbeiten wird, bis es eine Lösung gefunden hat, wenn der Geist eine Problemstellung erst einmal akzeptiert hat.
   Dieser Grundzug ist eine notwendige Voraussetzung des rationalen Denkens. Wenn der Geist ein Paradox behandelt, als sei es ein reales Problem, bleibt er für alle Ewigkeit im Paradox gefangen, das ja keine Lösung hat. Ganz offensichtlich ist es daher wichtig, den Unterschied zwischen einem Problem und einem Paradox zu erkennen und auf beide in angemessener Weise zu reagieren.
   Als Wurzelparadox betrachtet Bohm die relative Unabhängigkeit der Art der Denktätigkeit von deren Inhalt, die zwar beim Nachdenken über praktische und technische Themen angemessen ist, aber in die Irre führt, sobald man über sich selbst nachzudenken beginnt. Bei genauer Beobachtung wird man dann feststellen, dass dieser Ansatz zu einer paradoxen Struktur der inneren Aktivität führt. Das Paradox liegt darin, dass man zwar seine eigenen Gedanken und Gefühle als unabhängig und getrennt von dem Denken behandelt, das über sie nachdenkt, dass es aber offensichtlich ist, dass keine solche Trennung und Unabhängigkeit existiert und auch nicht existieren kann.
   Wenn ein Mensch also versucht, seine Neigung zur Selbsttäuschung zu überwinden, sieht er sich im Wurzelparadox gefangen, das heisst, im Paradox, das seine Denktätigkeit von eben dem beherrscht wird, was sie überwinden will. Seit unvordenklichen Zeiten haben die Menschen im Allgemeinen begriffen, dass denken und fühlen normalerweise von Gier, Gewalt, Selbsttäuschung, Angst, Aggressivität und anderen Reaktionsformen infiziert sind, die zu Korruption und Verwirrung führen. Grösstenteils ist dies jedoch als Problem angesehen worden, was dazu führte, dass die Menschen sich bemühten, die Unordnung in ihrer eigenen Natur zu überwinden oder zu beherrschen. Es gibt zahllose Methoden dafür. Beispielsweise haben alle Gesellschaften eine Reihe von Strafen eingeführt, die darauf abzielen, durch Einschüchterung ein richtiges Verhalten sicher zu stellen, gleichzeitig gibt es eine Reihe von Belohnungen als Anreiz. Da sich das als unzureichend erwies, kam es zusätzlich zur Schaffung von Moralkodexen und Ethiken sowie verschiedenster religiöser Vorstellungen, in der Hoffnung, dass diese die Menschen in die Lage versetzen würden, aus eigenem Antrieb ihre falschen und bösen Gedanken und Gefühle in Schach zu halten. Aber auch dies hat nicht das gewünschte Ergebnis erzielt. Da die Unordnung in der Natur des Menschen das Resultat eines Paradoxes ist, kann kein Versuch, es als Problem zu behandeln, diese Unordnung beseitigen. Im Gegenteil, solche Versuche vergrössern normalerweise nur die Verwirrung und schaden daher möglicherweise mehr als sie nützen.
   Ich nehme an, die Parallele zum Inzesttabu und seinen Folgen ist hier offensichtlich.
   Der Versuch, die eigenen Probleme und die Probleme der Gesellschaft zu lösen, wird eher die bestehende Verwirrung vermehren, als zu ihrer Beendigung beitragen. Nach Jahrhunderten der Gewohnheit und Konditionierung neigen wir dazu anzunehmen, dass wir selbst im Grunde in Ordnung sind und unsere Schwierigkeiten im Allgemeinen äussere Ursachen haben, die als Probleme behandelt werden können. Und sogar, wenn wir erkennen, dass innerlich etwas bei uns nicht stimmt, gehen wir gewohnheitsmässig davon aus, dass wir mit ziemlicher Bestimmtheit auf das Falsche oder Fehlende in uns selbst zeigen können, so als wäre dies von der Denktätigkeit selbst, mit der wir das Problem der Korrektur des Fehlers formulieren, getrennt und unabhängig. Erforderlich wäre aber eine tiefe und intensive Klarheit, eine Achtsamkeit, die über die Bilder und intellektuellen Analysen unseres verworrenen Denkprozesses hinausgeht und fähig ist, zu den widersprüchlichen Voraussetzungen und Gefühlen vorzustossen, in denen die Verwirrung ihren Ursprung hat. Eine solche Klarheit impliziert eine Bereitschaft zur Wahrnehmung der zahlreichen Paradoxa in unserem täglichen Leben, in unseren sozialen Beziehungen, letztendlich auch in dem Denken und Fühlen, das scheinbar in jedem von uns das „innerste Selbst“ bildet. Was es braucht ist anhaltende, ernsthafte und sorgsame Aufmerksamkeit für die Tatsache, dass der Geist nach Jahrhunderten der Konditionierung in den meisten Fällen dazu neigt, sich in Paradoxa zu verfangen und fälschlicherweise die daraus resultierenden Schwierigkeiten für Probleme zu halten. Irgendwo ganz hinten in uns ist jemand, der beobachtet, was falsch ist, aber er selbst wird nicht beobachtet. Genau das Falsche, das er sehen sollte, steckt im Betrachter selbst, weil das der sicherste Ort ist, es zu verbergen. Verstecke es im Betrachter selbst, und der Betrachter wird es niemals finden.
   Bohm ist der Meinung, dass es möglich ist, Annahmen in der Schwebe zu halten und zwar sowohl für sich allein, als auch im Dialogkontext. Er regt den Gedanken an, dass eine Propriozeption des Denkens imstande sein könnte, den Kreislauf der Verwirrung unmittelbar zu durchschauen. Gegenwärtig fehlt uns eine sofortige Rückmeldung der Denkbewegung, wie sie der Körper in der Eigenwahrnehmung oder Propriozeption kennt. Bohms Überzeugung gemäss kann die Denkbewegung aber genauso propriozeptiv werden wie es der Körper ist, wenn wir das In-der-Schwebe-Halten als Basis nehmen.
   Wenn wir durch einen Zuhörer zuhören, werden wir nie wirklich zuhören. Die Frage ist also, was erforderlich ist, um so tief in die Beobachtung zu gehen, dass wir uns selbst ohne einen Betrachter ansehen oder uns selbst und anderen ohne einen Zuhörer zuhören können. Bohm betrachtet es als möglich, die Aktivität in der Schwebe zu halten, ihr zu erlauben sich zu zeigen, zu erblühen und zu entfalten, so dass wir ihre Struktur erkennen können. Die Fähigkeit, sich in der Schwebe zu halten, betrachtet er als ein natürliches Potential, das wir aber bis jetzt wenig genutzt haben.
   Vielleicht ist uns die Tendenz angeboren, mit Gewalt zu reagieren, wo wir besser etwas in der Schwebe halten sollten. Bohm ist aber der Meinung, dass wir das In-der-Schwebe-Halten lernen müssen und können. Für ihn ist klar, dass der Beobachter eine Illusion ist, dass Gedanken und Gefühle sich als eigenständige Prozesse bewegen und nicht durch ein Ich geleitet werden. Sie werden nicht durch das Ich hervorgerufen und sie werden auch nicht durch das Ich erfahren. Die Vorstellung von einem Ich ist zwar nicht gänzlich falsch, sonst wäre sie wahrscheinlich auch nie entstanden. Zuerst einmal ist es auch natürlich, dass wir davon ausgehen, dass es ein Selbst als eine Art Zentrum gibt und der Körper ein Zentrum der Aktivität ist. Die Frage ist, wie hat sich aus dieser natürlichen, nützlichen Unterscheidung die Widersprüchlichkeit eines Ego herausgebildet.
   Wäre es möglich, dass sich das Denken auf ähnliche Weise selbst beobachtet wie der Körper, um zu erkennen, was es tut. Aufmerksamkeit könnte diese Propriozeption hervorbringen.
   Insgesamt ist bei Bohm anzumerken, dass seine wissenschaftliche Denkweise etwas komplizierter und daher schwerer zugänglich ist als zum Beispiel diejenige von Krishnamurti. Bohm ist überzeugt, dass Einsicht oder Wahrnehmung das Ganze beeinflussen kann, nicht nur das auf Schlussfolgerungen beruhende Verstehen, sondern auch die chemische Ebene, die stillschweigende Ebene, alles. Wenn wir als Einsicht erfahren, die Einsicht gewinnen, dass das Denken nicht propriozeptiv ist, aber Propriozeption nötig hat, könnte das die Synapsen im Gehirn erreichen, die diese Komplexe steuern.

Bohm unterscheidet das wörtliche Denken und das partizipierende Denken. Das wörtliche Denken ist praktisch und ergebnisorientiert, und sein Ziel ist es, voneinander getrennte, eindeutige Bilder der Dinge zu formen, so wie sie sind. Das wissenschaftliche und das technische Denken gehören zum wörtlichen Denken. Davon unterscheidet Bohm das partizipierende Denken, eine Art des Denkens, in dem Grenzen als durchlässig empfunden werden, Objekte auf einer tieferen Ebene miteinander verbunden sind und die Bewegung der wahrnehmbaren Welt als teilhabend an irgendeinem vitalen, absoluten Sein empfunden wird. Laut Bohm ist der wesentliche Punkt der, dass sowohl das wörtliche als auch das partizipierende Denken Vorzüge und Grenzen haben. Er spricht sich für eine erneute Erkundung eines angemessenen Verhältnisses zwischen den beiden Denkweisen aus. Der Dialog ist für eine solche Erkundung ausserordentlich geeignet. Bohms These zufolge ist die Sichtweise des partizipierenden Denkens seiner eigenen Vision der implizierten Ordnung nicht unähnlich, in der die Phänomene der manifesten Welt als temporäre Aspekte der Bewegung einer tieferen, natürlichen Ordnung begriffen werden, die sich in einem Zustand unendlich fliessenden Einfaltens und Entfaltens befindet.
   Bohm zweifelt daran, dass irgendeine Form des Denkens das fassen kann, was wir als das Unbegrenzte verstehen. Er erfährt die Aufmerksamkeit im Gegensatz zum Denken als das, was potentiell unbegrenzt und daher fähig ist die subtile Natur des Unbegrenzten zu erfassen. Dennoch beharrt er darauf, dass eine anhaltende Erkundung der Natur des Bewusstseins und des Grunds des Seins essentiell ist, wenn wir irgendeine Aussicht haben wollen, die Fragmentierung in der Welt zu beenden. Seine These lautet, dass das Feld des Denkens begrenzt ist, dass es aber das Unbegrenzte gibt, welches das Begrenzte einschliesst. Für ihn ist die Aufmerksamkeit eine Art Brücke dazwischen. Seiner Meinung nach kann das Gehirn neben dem Denkvorgang eine andere Funktion entfalten. Es könnte gewissermassen als Antenne arbeiten, die übergeordnete Ebenen empfängt, statt nur der Initiator von Handlungen zu sein.


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